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Die Suche nach der Herzensruhe
von Advaita Pro @ 2007-07-03 - 12:06:29
DIE SUCHE NACH DER HERZENSRUHE
VON MICHAEL CORNELIUS UND JUERGEN SCHLAGENHOF Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie sitzen einen Tag alleine in einem leeren Raum. Sie essen nichts, trinken nichts und sprechen mit niemandem. Sie haben nur eine Aufgabe: Beobachten Sie sich selbst. Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf? Stinkt Ihre Seele wie ein alter Fisch? Oder duftet sie wie eine Rose? Was ist mit Ihnen los? Halten Sie das aus, mit sich allein zu sein? Haben Sie den Mut, Ihrem wahren Selbst in die Augen zu schauen? Tatsächlich ist so ein Experiment für viele von uns kaum vorstellbar, denn wir schwimmen normalerweise in einem Meer der glückseligen Zerstreuung. Aber vor 1700 Jahren gab es Menschen, die genau dieses Experiment gewagt haben. Nur viel radikaler, nicht für einen Tag oder eine Woche im »All-Guru-inclusive«-Urlaub in einem Ashram, einem Retreat oder Zen-Kloster, sondern für den Rest ihres Lebens.Sie gingen in die Wüste. Weg von allen und allem. An einen Ort der Leere. Wo man vor allem mit sich selbst ist. Das war der Ursprung des christlichen Mönchtums. Die ersten Wüstenmönche waren Regelbrecher. Sie haben der Gesellschaft den Rücken gekehrt, Besitz und Beruf aufgegeben, ihre Familien verlassen, sich der drückenden Steuerlast entzogen und den Militärdienst verweigert. Aber vor allem haben sie sich der Gesellschaft durch Schweigen entzogen. Sie gingen in die Wüsten von Ägypten, Palästina oder Syrien und lebten dort alleine, in kleinen Gruppen oder größeren Gemeinschaften ein elementares Leben des Verzichts. Den frühen Eremiten folgten tausende, die so leben wollten wie sie. Einige der Einsiedler, wie etwa Antonios, den man den Stern der Wüste nannte, oder Poimen, hatten bald einen legendären Ruf, der weit bis über Rom hinausreichte. Ein Strom von Abenteurern, Pilgern und wohlhabenden Neugierigen aus dem ganzen römischen Reich zog in die Wüste. Alle wollten von den weisen Altvätern, den Abbas, wie sie respektvoll genannt wurden, ein therapeutisches Wort hören, ein Wort, das heilt. Schon Ende des 4. Jahrhunderts kursierten erste Reiseberichte, die vom wundersamen Leben der Wüstenmönche erzählten. Im Jahr 394 schreibt Rufinus: »Sie wohnen in der Wüste, und ihre Zellen befinden sich in einigem Abstand voneinander, damit keiner aus der Ferne den anderen erkennen, erblicken oder dessen Stimme hören kann. Ganz im Gegenteil, sie leben in tiefem Schweigen, jeder Mönch für sich allein. Nur am Samstag und Sonntag begegnen sie sich in den Kirchen«. Bis auf wenige Ausnahmen waren die Wüstenmönche keine Gelehrten, sondern von einfacher Herkunft, viele waren Bauern, die nicht lesen und schreiben konnten. Die Wüste war für sie der Ort der Askese. Askese kommt vom griechischen »askesis« und heißt Übung. Aber was sollte geübt werden? »Das Wesentliche«, sagt ein Altvater, »ist die Arbeit an der Seele. Denn dafür sind wir in die Wüste gekommen«. Es war der Weg der Selbsterkenntnis. Und die große Lehrerin der Selbsterkenntnis war die Mönchszelle. Darum heißt es immer wieder: »Setz dich in dein Kellion und das Kellion wird dich alles lehren«. Das Kellion war meist eine primitive selbst gemauerte Zelle, eine Höhle oder Hütte. Dort, umgeben von der Leere der Wüste, fanden sie in jahrelanger praktischer und spiritueller Arbeit Antworten auf die Fragen nach dem richtigen Leben. Lange bevor die »Depression« zur Signatur der modernen Welt wurde, beschrieb der Mönch Evagrios die »acedia« als Gefahr für die Seele, wenn der Geist von einem Gefühl der Lustlosigkeit und Trägheit überfallen wird. Gleich die erste Geschichte in der großen alten Sammlung der Apophthegmata Patrum, der Sprüche der Väter, handelt von der Depression. Sie erzählt davon, wie der berühmte Altvater Antonios mit düsteren Gedanken, besessen von der »acedia« in der Wüste sitzt und Gott fragt, was er tun soll. Da sieht er einen Mann, der ihm bis aufs Haar gleicht, der einfach nur dasitzt, ein Seil flicht und betet. Es ist ein Engel, der zu Antonios sagt: »Tue genau das und du wirst gerettet werden«. Die Depression sahen die Wüstenmönche als Möglichkeit für einen Neubeginn. Denn der, der an seiner Seele arbeitet, sagte Altvater SiIvanos, »kann jeden Augenblick einen neuen Anfang machen«. Nach innen blicken und bei sich selbst anfangen das ist der Kern der vielen tausend mündlich überlieferten Weisheiten der Wüstenmönche, die in der Apophthegmata Patrum von Schülern der Mönche gesammelt wurden. Wir haben für dieses Buch aus den im Original griechischen und lateinischen Fassungen der Sprüche der Väter etwa 150 Geschichten und Weisungen ausgewählt und übersetzt, die von der »Herzensruhe« handeln. Der Weg nach Innen ist der Weg zur »hesychia«, zur Herzensruhe. Immer wieder vergleichen die Altväter das Bewusstsein des Übenden mit aufgewühltem, trübem Wasser. Erst nach einer Weile der Ruhe und Stille, wenn sich alles gesetzt hat, wird das Wasser klar und die Oberfläche zum Spiegel, in dem der Mönch sich selbst erkennen kann. Deshalb steht am Anfang die einfache Anweisung: »Setz dich hin, schweige und werde still«. Das Ziel des Weges ist die Verwandlung des Bewusstseins und des Herzens. Wer den inneren Frieden gefunden hat, ist ganz da und gegenwärtig, ruht in sich selbst und ist offen für andere. »Untersuche deine Gedanken«, fordern die Altväter ihren Schüler auf, »dann wirst du Ruhe finden«. Und: »Vergleiche dich nicht mit anderen und urteile weder über dich noch über andere«. Wer jetzt glaubt, die Wüstenmönche hätten der Nachwelt ein theoretisches Handbuch zum Glücklichsein hinterlassen, der irrt. Denn das, wovon die Altväter sprechen, sind keine schnellen Rezepte. Die Übungen sind einfach, aber sie zu verwirklichen verlangt Mut und Anstrengung. Auch das steht in den Sprüchen der Altväter: »Es ist eine schwere Arbeit, sich selbst unablässig zu untersuchen«. Von Erleuchtung oder mystischer Erfahrung erzählen die Wüstenmönche nur wenig, auch wenn die »henios«, das Einswerden mit Gott, hinter allem Kampf in der Wüste stehen mochte. Überhaupt redeten die Wüstenmönche nur äußerst ungern. ungefragt sowieso nie. Im Gegenteil: Oft schickten sie den Ratsuchenden erst einmal weg oder spielten den Narren. Aber wenn es einer ernst meinte mit seinem Anliegen, »wenn er mit dem Mund sprach, was in seinem Herzen ist«, wie Altvater Poimen es ausdrückte, dann erhielt er eine Antwort, ein lebensspendendes Wort. Manchmal auch nur die kauzige Antwort eines bärtigen Greises, voll von absurdem Humor, wie er nur Altvätern oder Zen-Meistern eigen ist. Oder sie schwiegen, aber wer ihr Schweigen richtig deutete, konnte auch ohne Worte etwas von ihnen lernen. Die Weisheit der Wüstenmönche hat etwas von einer Gelassenheit, deren Blickwinkel die Ewigkeit ist. Antonios, Poimen und die vielen anonym gebliebenen Altväter sprechen zu uns so wahr, so warm, so unmittelbar, weil sie die Fähigkeit zur »Diakrisis«, zur Unterscheidung haben. Damit haben sie auch die Gabe, das Herz der Ratsuchenden zu durchschauen. Auch 1700 Jahre später überraschen uns die Antworten der Wüstenmönche. Über alle Zeiten hinweg sprechen diese sehr menschlichen Heiligen aus der Wildnis uns direkt an. Die Worte aus der Wüste sind von zeitloser Klarheit und Kraft. Sie treffen in ihrer Radikalität auch den modernen Menschen mitten ins Herz.
MÜNCHEN, IM FEBRUAR 2005
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